Mit unbekanntem Ziel verreist? Freisinger Juden im Nationalsozialismus

Autorin: Julia Christof

Erscheinungstermin: September 2019
Umfang: 100 Seiten, 16 Farbseiten; zahlreiche historische s/w-Fotografien; etliche zeitgenössische Farb-Fotografien
Format: 17 x 22 cm
Ausstattung: Paperback
ISBN: 978-3-99082-030-8

Amazon.de Price:  9,90 inkl. USt. (as of 18/09/2019 11:59 PST- Details)

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ISBN eBook: 978-3-99082-031-5

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„Mit unbekanntem Ziel verreist …“ Dreister hätte das „Freisinger Tagblatt“ im November 1938 nicht lügen können, um zu beschreiben, dass die letzten jüdischen Freisinger Bürger wegen des zunehmenden Antisemitismus nach München abgewandert sind. Bereits lange zuvor wurde diese Bevölkerungsgruppe diskriminiert. Ihre Existenz wurde sukzessive vernichtet und ihr Leben bedroht.

Dabei waren ausgerechnet diese Männer und Frauen angesehene Bürger Freisings gewesen. Keiner von ihnen hatte geahnt, was ab 1933 geschehen würde. Als Kaufmannsfamilien waren sie täglich im guten Kontakt mit jenen Freisingern gewesen, die nun zusahen, wie die Juden entrechtet, zur Auswanderung gezwungen oder deportiert wurden. Was danach kam, ist hinlänglich bekannt: Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurde in Konzentrations- und Vernichtungslagern gequält und ermordet.

Nur drei der hier porträtierten Freisinger überlebten den Nationalsozialismus. Keiner kehrte jemals in seine bayerische Heimatstadt zurück. Heute erinnern sogenannte „Stolpersteine“ an den Verlust. Mit der temporären Ausstellung „Wenn Steine sprechen könnten“ und mit diesem Buch ist nun ein weiteres Denkmal entstanden. Denn jenseits der öffentlich sichtbaren Stolpersteine erfahren wir viele interessante Details über die Lebens- und Leidenswege der betroffenen Familien und Einzelpersonen.

Das Schulprojekt, das die Grundlage für dieses Buch darstellte, wurde u.a. mit folgenden Preisen ausgezeichnet:

* Landespreis Bayern beim Geschichtswettbewerb 2019/20 des Bundespräsidenten der Körber-Stiftung

* 2. Landespreis beim bayerischen Schülerlandeswettbewerb „Erinnerungszeichen“, Juli 2019

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort … 7

Einführung von Julia Christof … 11

Danksagung … 12

Wie alles begann … 12

Ein Beitrag zum größten Geschichtswettbewerb in Deutschland … 13

Mit unbekanntem Ziel verreist? … 14

Jüdisches Leben in Freising … 17

Familie Holzer … 18

Bernhard und Henriette Holzer … 18

Irma Holzer … 19

Dr. Siegfried Holzer … 20

Dr. Hedda Holzer … 22

Oskar und Hanna Holzer … 22

Ilse Holzer … 24

Dr. Martin Holzer … 25

Familie Lewin … 27

Marcus und Johanna Lewin … 27

Hildegard Lewin … 28

Familie Neuburger … 29

Ignaz und Lina Neuburger … 29

Die Geschwister Alfred, Siegfried und Emma Neuburger … 30

Max Schülein … 33

Emma Reißermayer … 35

Historische Bilddokumente … 37

Unfreiwillige Wohnorte … 63

Stationen in München … 64

Barackenlager München-Milbertshofen … 64

Internierungslager Clemens-August-Straße 9 … 65

Die Flachsröste Lohhof … 66

Letzte Stationen … 67

Auschwitz, Polen … 68

Kaunas, Litauen … 68

Piaski, Polen … 69

Theresienstadt, Tschechien … 69

Überlebende … 71

Dr. Martin Holzer … 72

Hildegard Lewin … 72

Emma Reißermayer … 73

Einblicke, Rückblicke, Ausblicke … 75

Fürs Leben lernen … 76

Warum wir forschen. Stimmen aus dem Projekt … 78

Was bleibt … 81

Anhang … 83

Glossar … 84

Zitatnachweis … 85

Bildnachweis … 94

Einführung

Die Projektidee selbst entstand in einem Geschichtsseminar an der Universität Regensburg mit dem Titel „Auschwitz im Geschichtsunterricht“. Angehende Lehrkräfte setzten sich dabei im Rahmen einer Exkursion zur Gedenkstätte Auschwitz mit dem lokalgeschichtlichen Zugang zum Holocaust auseinander. Ich entschied mich, den Lebensspuren der Freisinger jüdischen Familien nachzugehen.

In einer Stadt wie Freising wird im Gegensatz zu Großstädten wie München die lokale Geschichte des Nationalsozialismus vor allem durch LokalhistorikerInnen, unter anderem durch den Historischen Verein Freising oder das Stadtarchiv Freising, exemplarisch bearbeitet. Die Verlegung der vor Ort vorhandenen Stolpersteine wurde auf private Initiativen veranlasst. Es waren also wichtige Schritte getan, aber gerade die Stolpersteine brachten mich zum Nachdenken: Schließlich offenbarten sie nur wenige Informationen zu jenen Menschen, derer man gedachte.

Nicht zuletzt deshalb fand ich: Die persönlichen Geschichten der 15 jüdischen BürgerInnen der Stadt Freising im Jahr 1933 sollten gerade wegen der nationalsozialistischen Bemühungen, jüdisches Leben und jüdische Kultur dauerhaft zu vernichten und Juden unsichtbar zu machen, in der Gegenwart und für die Zukunft wieder sichtbar gemacht werden und der Freisinger Bevölkerung zur Verfügung stehen. Für meinen Plan wollte ich Schülerinnen und Schüler gewinnen. Unsere gemeinsame Arbeit im Rahmen eines sogenannten Projekt-Seminars (P-Seminar) sollte dem Vergessen entgegenwirken und einen wichtigen Beitrag zur städtischen Erinnerungskultur leisten.

Bevor das P-Seminar an der Schule begann, recherchierte ich in zahlreichen Archiven und sammelte etliche Quellen zur Bearbeitung und Interpretation für die SchülerInnen. Ich organisierte Termine im Stadtarchiv Freising und München sowie im Jüdischen Museum München. Anderes ließ ich offen, wie die Entscheidung, in welcher Form die jungen Menschen ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen wollten. Betreut wurde der Kurs durch einen Geschichtslehrer und mich, später initiierte ich eine Teilnahme am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Der Titel des Seminars und des Wettbewerbsbeitrags lautete:

„Wenn Steine sprechen könnten … Jüdisches Leben in Freising zur Zeit des Nationalsozialismus“

[…]

Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, der seit 1973 von der Körber-Stiftung durchgeführt wird, ermutigt junge Menschen, sich mit Geschichte zu befassen. Vor allem die Lokalgeschichte steht hierbei im Fokus. Kinder und Jugendliche sollen so selbst zu Geschichtsforschern werden. Alle zwei Jahre ist ein neues Thema das Leitmotiv, unter dem man aktiv werden kann. 2018/19 war es „So geht’s nicht weiter. Krise, Umbruch, Aufbruch“.

Neben diesem historischen Wettbewerb gibt es noch zahlreiche andere, wie beispielsweise den bayerischen Landeswettbewerb „Erinnerungszeichen“, der jährlich vom bayerischen Kultusministerium veranstaltet wird. Diese Wettbewerbe – in denen das Freisinger Projekt schließlich jeweils mit einem Landespreis bedacht wurde – waren eine wichtige Motivation für unser Projekt. Über das konkrete Thema stolperten wir regelrecht, als wir folgenden Auszug aus dem Talmud entdeckten: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“

Mit diesem Zitat erklärt der Künstler Gunter Demnig unter anderem seine Intention hinter dem Projekt Stolpersteine. Die Messing-Steine, die zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in den Boden eingelassen sind, liegen vor jenem Wohnort, den die Verfolgten als letzten freiwillig ausgewählt haben. Seit dem Jahr 2000 verlegt Gunter Demnig die Stolpersteine, und fast alle der mittlerweile über 70.000 Steine in bislang 21 Ländern Europas installierte er selbst vor Ort.

Im Lokalbereich stolpern die Passanten dann im übertragenen Sinn über die Steine und halten vielleicht kurz inne, um der Opfer zu gedenken. Manch einer wird sich fragen, wer die Menschen, die hier einst wohnten, gewesen sind, wie sie aussahen, welcher Arbeit sie nachgingen und was sie gern in ihrer Freizeit unternahmen. Genau diese Fragen waren der Ausgangspunkt für das lokalgeschichtliche Projekt, dessen Rechercheergebnisse im vorliegenden Buch zusammengefasst sind.

[…]

Das Zitat, das auf dem Buch-Cover zu finden ist – „Mit unbekanntem Ziel verreist“ – stammt aus einem Zeitungsartikel mit dem Titel „Deutsche unter Deutschen“ im Freisinger Tagblatt vom 15. November 1938.iii Dort heißt es propagandistisch über die Folgen der Pogromnacht vom 9. November, in der jüdische Geschäfte zerstört, Synagogen angezündet und Juden verschleppt worden waren:

„Ihnen allen ist nun unter dem Einbruch der Ereignisse der letzten Woche der Boden hier zu heiß geworden und sie haben es vorgezogen, mit unbekanntem Ziel zu verreisen.“

In beschönigender Art beschreibt der erwähnte Artikel, dass die Hetze und Verfolgung, denen die Freisinger Juden seit damals bereits über fünf Jahren ausgesetzt waren, nun auch die Letzten von ihnen davon überzeugt haben, die Stadt zu verlassen.

Dass der „Boden hier zu heiß geworden“ ist, verharmlost die damalige Situation zutiefst. Auch die Aussage, die Juden seien „mit unbekanntem Ziel verreist“, beschwört Bilder von Urlaub oder einer Auswanderung mit schönem Ziel herauf. Bis auf zwei Freisinger Juden zogen jedoch alle Betroffenen unter schwierigen Umständen zuerst einmal nach München und versuchten von dort aus, dem NS-Regime und der Verfolgung zu entkommen. Vergeblich.

***

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Julia Christof

Julia Christof studiert Geschichte, Englisch und Ethik, um Gymnasiallehrerin zu werden. Vielseitig interessiert und offen für Neues entschied sie sich für eine besondere Zulassungsarbeit: ein Julia Christof, Autorin bei edition riedenburgSchülerprojekt zum Schicksal der Freisinger Juden im Nationalsozialismus. Gemeinsam mit 14 Gymnasiasten begab sie sich in Freising auf Spurensuche zur jüdischen Geschichte.

Julia Christof engagiert sich zudem in der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft und organisiert dort interkulturelle Jugendbegegnungen.

Gemeinsam mit Heike Wolter hat sie "Ruth Bader Ginsburg - Richterin für Gerechtigkeit", "Bertha Benz - Die erste Autofahrerin" und "Frida Kahlo - Die Malerin im Blumenmeer" veröffentlicht.

Bücher von Julia Christof

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